Merzmensch

DADAistisches und dadaLOSES


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Yesterday as I’ve read about #Schwitters’ collages, …

Yesterday as I’ve read about #Schwitters’ collages, suddenly I saw this piece of paper on the floor, from an old German book. I think it was a greeting from #MERZ-artist. “…ckstrahl der S(onne?) […] Kind von …” (“…beam of s(un?) […] Child of…”)

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Die Dadaisten, eine TV-Serie

Liebes Fernsehen.

Ich weiss, ich nerve schon wieder, und Ihr habt ohnehin viel zu tun mit Euren unzähligen deutschen TV-Soaps über die Liebe, die Reichen, die Kliniken (mal separat, mal alles zusammen) – inkl. Glubschaugen, hölzerne Dialoge, schwache Drehbücher [von Nichten und Cousinen der Produzenten geschrieben] und „Ich bin ja sowas von empört!“-Gesichtsausdrucke der super positiven ProtagonistInnen als bilschirm- und abendfüllende Notfalls-Unterhaltung. Ihr hört mich wohl nicht einmal, daher wende ich mich an arte oder 3sat.

Bald ist es aber an der Zeit, die Vergangenheit in die Zukunft zu transferieren, oh ja, wie ein Hut. Wie ein Hut.
Denn 2016 feiert Dada seinen / ihren (die Leute sagen, du wärest. / Laß sie sagen, sie wissen nicht, wie der Kirchturm steht) 100-jährigen Geburtstag.

Wie wäre es, anlässlich der Dadanniversary mal eine hochqualitative Serie zu produzieren? Mit einem spitzenscharfen Drehbuch, charismatischen Schauspielern, an Originalschauplätzen?

Zürich-Dada der 1910er – samt Karawane, Afrikanertänze und Schachpartien mit Lenin (der später Polizei ruft, weil die Dadaisten doch zu laut sind).

Berlin-Dada der 1920ger – samt Club Dada, wütendem Huelsenbeck und der Ersten Internationalen Dada-Messe.

Köln-Dada mit der von der Polizei geschlossenen Dada-Ausstellung und einem durchaus psychoanalytischen Max Ernst (am besten als Monty Python Animation)

Hannover-Dada, besser bekannt als MERZ – mit dem singenden Kurt, verwinkelten Merzbauten und Helma als Schutzengel/in.

Und natürlich, die gloriöse Baaders Flugzeuglandung als Wiederkehr Christi auf dem Kongress der Inflationsheiligen.

So und jetzt die Generalfrage – auch an Euch, werte Leserinnen und Leser: wer soll wen spielen? Hier kommen meine ersten Vorschläge.

 

Hans Arp = Rudolf Kowalski

 

Rudolf-Kowalski

 

Hugo Ball = Karl Markovics

 

HugoballMarkovics

 

Wenn der gute alte Eddi Arent noch lebte, könnte er bestens Kurt Schwitters spielen.

 

schwittersEddi_Arent

Diese Liste wird fortgesetzt – bitte schickt mir Eure Vorschläge, denn die Dada-Liste ist noch lang.
Ich werde diesen Posting nach und nach erweitern.

Achja, Blixa Bargeld soll da auch dabei sein. Aber als wer? (Vielleicht als Narrator, da seine Stimme so sagenhaft phantastisch ist?)

 

Ach, und wenn Ihr schon diese Serie dreht, ich würd da auch gerne mitmachen. Egal wie.


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Proun – Das Avantgarde-Spiel

Raten Sie mal, was haben Schwitters, El Lissitzky, Kandinski und ein PC-Rennspiel? Die Antwort auf diese seltsame Frage habe ich heute gefunden. Und dabei ist mir früher solche Frage als Frage noch nie eingefallen. Die Antwort heisst „Proun„.

Proun nannte El Lissitzky seine von Malevič beeinflussten suprematistischen Versuche, von der Malerei zur Architektur zu kommen. Also nicht mehr 2D, aber noch nicht 3D:

„Durch den Proun sind wir jetzt bei der Architektur angekommen – und das ist kein Zufall“.
Lissitzki

Da ist beispielweise „Proun 5A“:

lissitzky

(Quelle: art49.com)

Nun hat ein Spiele-Programmieren (darf ich sagen, Künstler?)  Joost van Dongen ein Spiel unter dem gleichen Namen geschaffen. Mit jazziger Musikbegleitung flitzt man lichtschnell durch die suprematistischen Dreiecke, Kreise und Linien. Ungefähr so:

Splitscreen4track5

Und wenn man in das System des Spiels reinschaut, sieht man bereits, wer den Autor beeinflusst hat: El Lissitzky, Kandinsky, Mondrian, Schwitters und Tinguely (in Credits des Spiels sieht man ihre Werke).

files
Aller Achtung! Ich hätte hie gedacht, ich würde irgendwann durch die Werke der Avantgardisten mit Lichtgeschwindigkeit rasen.
Hier geht es zur offiziellen Seite: http://www.proun-game.com/

Und hier ist es nochmals in Bewegung:

Und wieviel kostet dieses Kunstwerk? Soviel Sie möchten.


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Internationale Schwitters-Tagung. Teil 7.

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Es wurde an der Schwitters-Tagung viel über den ALLum-fassenden Charakter von MERZ berichtet. Oliver Ruf, der Herausgeber von Hugo B-all, nimmt das All-Umfassende unter die Lupe.

Er zeigt anhand von Bataille, Latour und Foucault, dass der Diskurs über die mediale Verbindungen weitaus tiefgreifender ist, denn Schwitters gelingt es mit MERZ,

eine Transmedialität = das Durchdringen der Medien im Moment der Rezeption,
mit der Beteiligung des Rezipienten

zu erreichen. (Rechtsweg ausgeschlossen)

Oliver Ruf bezieht sich dabei – zusammen mit Latour – auf einen Begriff aus der Genetik, „Crossover„, und das, meine Damen und Herren, IST MERZ. Denn so wie die Chromosomen ihr Material austauschen, so tauschen die Gegenstände auf den MERZ-Bildern ihre Eigenschaften, und werden „gegeneinander gewertet„.

Denn, wissen Sie, werte Leser, MERZ ist wie diese Kaffeetasse auf meinen Tagungsnotizen:

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Zunächst ist alles vom allen getrennt.
Doch: kippe ich die Tasse um, nennen wir diesen Vorgang einfachheitshalber

ǝssɐʇ

dann werden meine Notizen und Gedanken mit dem Kaffee und aufgelöster Tinte und Umweltpapier vermischt, es wird sozusagen ein gegenseitiges Durchdringen herrschen, oder: Transmedialität. Und zwar im Moment meiner Rezeption aller Bestandteile (Tagung/Notizen/Kaffee). Das Gleichgewicht bleibt dabei erhalten, es sei denn ich werde freundlicherweise aus der Tagungshalle gebeten.

Also (zum Auswendiglernen):

MERZ ist mehr als eine Verbindung der Medien, es ist deren gegenseitiges Durchdringen, das VerMERZen, Crossover. Der Zuschauer wird dabei mit-bedacht und mit-einbezogen.

***

Last but not least referierte Thomas Keith über Schwitters‘ Alphabet-Gedichte als intermedielles Experiment. Thomas Keith forscht übrigens im Bereich der Berührungspunkte oder Typologien der russischen und europäischen Avantgardisten

AVANTGARDE
└АВАНГАРД┘

Mayakovsky_1929_avor allem in der Gileja-Gruppe (Majakovskij [siehe rechts] u.a.).

Das ist wunderbar, denn ich schreibe ja auch über europäische und russische Avantgardisten (Oberiu-Gruppe in meinem Fall), und es ist schön zu wissen, dass man nicht alleine sich mit solchen Typologien beschäftigt. Ach, und Thomas Keith wurde bereits auch in Perspektive veröffentlicht.

Doch nun zum Alphabet – nach einer faszinierenden historischen Einführung verdeutlichte Thomas Keith, dass man die Alphabet-Experimente bereits seit Jahrhunderten betreibt – die alten Griechen taten’s, die Autoren von Abecedarium Normannicum, und dann W. Busch – sie alle haben mit Alphabet experimentiert, sei es künstlerisch, lehrend oder moralisierend.

Und tatsächlich – fängt man an, sich mit Alphabeten zu beschäftigen, hört man nimmerwieder auf. Das habe ich empirisch nachgewiesen.

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Schwitters auch, in seinen Alphabet-Texten. Zum Beispiel hier:

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Hier werden Materialien antihierarchisch entformt – ganz im Sinne der Merzkunst, wo ein Buchstabe gleichwertig ist mit Wort/Satz/Text.

Wollense behaupten, die Buchstaben sind im MERZ-Werk dem Inhalt unterordnet?
Dann irrense sich.

Also:
wenn, wie einige Theoretiker behaupten:

Alphabet => Rationalisierung,
mythisches Denken => logisches Denken

dann, wie Avantgardisten es anvisieren:

Avantgarde => Antirationalismus
Alphabet => mythisches Denken durch Neu-Werten

Und das merkt man bereits bei Alphabet-Texten.

Das was als reine Liste der Schriftzeichen präsentiert wird, bekommt auf einmal Form und Macht über den Leser, und der Leser fängt an zu erkennen.

Doch das Erkennen ist keineswegs nur das des ratio. Denn die Buchstaben des Alphabets faszinieren den Leser derart, dass er, in ihre Bahn gefangen, sieht so Sachen. Schauen Sie doch auf die Schwitters-Beispiele: was alles können Sie dort erkennen, ausser ARP/RAU/SAU?.. (Bitte um Kommentare)

Alphabet, für das Ordnen des Ungeordneten gedacht, wird auf einmal zum Irrationalen!

So werden die Alphabet-Segmente zur Poesie. Und ratio wird mit emotio verschmolzen – verMERZt.

Das passiert bei der Rezeption AUTORLESER.

Aber was passiert, wenn man diese Alphabet-Texte VORliest, statt einfach zu lesen? Zurück zu Ratio? Auch, wenn mit viel Emotio?

Schauen wir beispielweise Nowi, den Schlagzeuger aus der Musikgruppe Silbermond, der Schwitters‘ „Alphabet rückwärts“ rezitiert (und dafür wächst nun auch mein Interesse für Silbermond).

Merken Sie was? „Zet, Ypsilon“… das Vortragen ist reduziert auf die Vortragssprache des Vortragenden (hier: Deutsch)! Das Lesen ist aber unabhängig von der Lesekenntnissen des Lesenden (hier: lateinisches Alphabet)!

Und im Englischen wird es so klingen (als ein Kinderlied, aber nicht von Schwitters)

Oder so (und hier ist der Vortragender dazu regelrecht gezwungen, um somit beim Promille-Test zu beweisen, dass er nicht betrunken am Steuer sass, was er in 15 Sekunden schafft, und die Polizeibeamtin zum Erstaunen bringt [Mit Tanzeinlagen])

Und man stellt zum wievielten Male wieder fest:

Schwitters hatte schon wieder recht gehabt.

Besonders in seiner Omni-Materialität. Was diese wunderbare Schwitters-Tagung bewiesen hat. Nun kann’s nur noch materieller werden: in Form einer kompletten Texte-Edition von Schwitters. Wir warten darauf.

Und nach der Tagung hatte ich ein weiteres grossartiges Erlebnis: ich habe Trithemius getroffen und hatte die Ehre, mit Meister sprechen zu können. Und er wusste wie immer über alles Bescheid, denn auch zu diesem Thema (Schwitters und Alphabet-Gedichte) hat er Lesenswertes geschrieben. Hat mich sehr gefreut.

Ich bedanke mich bei den werten Lesern für und so weiter.

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Internationale Schwitters-Tagung. Teil 6

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Eines steht fest:

„Typographie kann unter Umständen Kunst sein“

(Kurt Schwitters).

Die Schrift kann nicht nur Inhalts-Über-Träger, Inhalt an sich oder Teil des Inhalts sein. Am Beispiel von „Die Scheuche“ (oder „Die Scheuche X[wie der Referent intererssanterweise bemerkt]) berichtete der Comic-Forscher Christian Bachmann über Texte von Schwitters im Spannungsfeld von Schrift und Bild.

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Während die meisten anderen Avantgardisten Typographie eher als Aus-Drucks-Mittel (und die Berliner Dada besonders politisierend) nutzten, folgte Schwitters seinem Herzen MERZEN, bei dem jedes Element in einem Werk gegeneinander gewertet werden, und somit war die Typographie ebenso signifikant wie der Inhalt.

die scheuche (x) zeigt diese Herangehensweise besonders prägnant: die Schrift kommuniziert mit anderen Ebenen und es entsteht eine dem MERZ-Meister typische Gänzlichkeit [ɥɔsuǝɯzɹǝɯ ɹɹǝɥ ‚ɟɟıɹƃǝq ɹǝɯɐsʇlǝs uıǝ sɐʍ]

Zum Beispiel hier:

Scheuche
MERZ 14/15, © Dumont Buchverlag / VG Bild-Kunst

Der BierBäuchige Bauer BreitBeinig stehend – was kann so eine Figur nicht besser personifizieren, als B?

Hier wird die Meta-Ebene mit der fiktiven Ebene komplett verschmolzen – und die Poetik Schwitters‘ zum wievielten Male bestätigt.

Aber es gibt ein Problem: Übersetzbarkeit, die in diesem Fall sehr problematisch ist. Schauen Sie zum Beispiel die englische Übersetzung (Lucky Hans and other Merz fairy tales, Princenton University Press, 2009), typographisch gesetzt von Barrie Tullet (Respekt!).

Scarecrow
© Princenton University Press, 2009

The Farmer on his Flimsy Feet doesn’t Fit so really in the Schwitters‘ concept. But how you would translate it else?
Dieser Bauer sieht absolut unpassenderweise nach einem Gentleman aus… Ja, Merzmensch, weiss es nicht, wie man typographische MERZ-Werke übersetzen soll. Vielleicht ist es unmöglich?

In diesem Werk wird Schrift + Bild = 1.

Das Hauptrinzip der MERZKunst, die Gleichheit der Form und des Inhaltes wird hier so trefflich erreicht, dass der letzte Zweifler die MERZ-Kunst dem Autor folgt.

Ich denke, Schwitters würde sogar von Humboldt akzeptiert, der einst überzeugt war, die europäischen Schriften haben die ikonographische Bildlichkeit (möge man mir die Tautologie verzeihen) überwunden. Stimmt: sie haben es überwunden, und nun sind sie bereit für die ikonographische Bildlichkeit par excellence.

***

Es ist wahrlich populär, etwas zu fordern.

  • Axel Fischer fordert „Vermummungsverbot im Internet“
  • Die Einstürzenden Neubauten „fordern Sonnenuntergang für das Abendland“
  • Und Schwitters?

Ich fordere die Merzbühne.
Ich fordere die restlose Zusammenfassung aller künstlerischen Kräfte zur Erlangung des Gesamtkunstwerkes. Ich fordere die prinzipielle Gleichberechtigung aller Materialien, Gleichberechtigung zwischen Vollmenschen, Idiot, pfeifendem Drahtnetz und Gedankenpumpe. Ich fordere die restlose Erfassung aller Materialien vom Doppelschienenschweißer bis zur Dreiviertelgeige. Ich fordere die gewissenhafteste Vergewaltigung der Technik bis zur vollständigen Durchführung der verschmelzenden Verschmelzungen.

Schwitters, „An alle Bühnen der Welt“, 1919, © Dumont Buchverlag

Man sieht, wenn die politische Forderungen (Fischer, CDU) sehr abwegig klingen, haben die Neubauten den Forderungen von Schwitters erfolgreich nachgegangen.

The Set Up

(Foto von xdijo: http://www.flickr.com/photos/xdjio/1858403/)

Denn im Gegensatz zu politischen Nebulösitäten, sind die theoretischen Ansätze des MERZ-Künstlers völlig konkret in ihrer vermeintlichen Abgehobenheit.
Schwitters als ein Bühnen-Theoretiker war um-wälzend, wie Christoph Kleinschmidt in seinem Vortrag über die MERZ-Bühne verdeutlichte.

Oberflächlich gesehen,grenzt die Aufführung, ja sogar Aus-Führung eines MERZ-Theaters fast an die Unmöglichkeit der Realisierung. Hier können alle Materialien verwendet werden (s. oben | unten | überall sonst). Die Einstürzenden Neubauten sind wohl diejenigen, die Schwitters Theorien in die Praxis am besten umsetzten könnten, auch wenn das Musikalische in ihrem Gesamtkunstwerk dominierte.

Im Vortrag von Christoph Kleinschmidt ging es jedoch nicht um die Neubauten, sondern um die Schwitters‘ Bühnenkompositionen

Oben und Unten

sowie

Zusammenstoss

Hier wird u.a. die Intermaterialität und Intertextualität der Merz-Bühne deutlich.

Und TAT-SÄCHlich, liest man die beiden eschatologischen Werke, sieht man folgendes:
ƽ Die Ursonate schimmert durch,
ƽƽ Zahlen werden im Chorus vorgetragen,
ƽƽƽ die Einzelwerke von Schwitters (z.B. Onkel Heini-Lied) erscheint in einem [neuen] Kontext.
ƽƽƽƽ Es ist über die Gleichzeitigkeit des Visuellen/Akustischen die Rede.
ƽƽƽƽƽ Und in einer Ballett-Einlage („Zusammenstoss“) wird eine seltsame Choreographie von Puppenpanzen und Distelkavaliere beschrieben, die man nur durch die Eigeninterpretation nachvollziehen kann (Mit-Ein-Be-Ziehen des Inszene-Setzers)
ƽƽƽƽƽƽ Manchmal dominieren die Bühnenansweisungen, die alles andere verdrängen
ƽƽƽƽƽƽƽ
ƽƽƽƽƽƽƽƽ
ƽƽƽƽƽƽƽƽƽ
ƽƽƽƽƽƽƽƽƽƽ

Oben und Unten fängt ja fast schon sehr synästhetisch an. Am besten werde ich hie die erste Bühnenanweisung zitieren:

Anfangs ist die Bühne dunkelblau. Sie scheint leer, weil man die auf dem Boden liegenden Personen nicht sieht. Man sieht erst undeutlich, dann immer deutlicher werdend auf dem Hintergrund das Kreisen von Welten, Kugeln, die sich drehen, rot, grün, blau angeschienen, durchscheinend Kreise, Linien, besonders in Parabelform, glitzernde Linien, sich verengende und erweiternde Quadrate, gelb oder rot, dazwischen Nebelformen, Schleier vor den mathematischen Formen unregelmäßig… Eintönig begleitet ein Nebelhorn von Zeit zu Zeit. Man hört auch manchmal Wasser rauschen. Kurz und schrill eine helle Pfeife. Klirren von Glasscherben. Große rote Kugel geht hoch und verschwindet, indem sie immer heller wird. Dazu Heulen einer Sirene. Dann beginnt sofort ein Scheinwerfer die Teile der Bühne zu beleuchten wo keine Menschen sind.

Oben und unten. 1929, © Dumont Buchverlag

Farbe, Formen, Licht, Klang♫, Haptik (klirrende Glasscherben – was kann haptischer sein in dieser Akustik?), Zeit (ist Zeit auch ein Sinn? Ich denke schon) – alles verbindet sich hier in einem multimediellen und intermateriellen (Christoph Kleinschmidt) Gesamtkunstwerk.

Und fast am Ende des Stücks passiert folgendes:

Das Publikum erhebt sich beim Liede und stimmt ein.

Oben und unten. 1929, © Dumont Buchverlag

Ja. Oh ja. Das Publikum (Datenschutz gewährleistet) – das letzte noch nicht betroffene Element des Theaters wird auch involviert. Die Zuschauer werden ebenso Teil der Merz-Bühne, wie die Schauspieler und Dekorationen.

Und das ist sehr wohl realisierbar. Schwitters erlebte es während Dada-Tournee durch Holland, als er mit von Doesburgn und anderen das Publikum so inspirierten, dass das Publikum mit Dadaisten die Plätze wechselten. Und während Schwitters und Co. sich in Zuschauersessel zurücklehnten, waren die Zuschauer aktiv auf der Bühne.

Zum Teil 7

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Internationale Schwitters-Tagung. Index

18.-19.03.2011: Transgression und Intermedialität.
Die Texte von Kurt Schwitters

ich bitte alle referenten, die hier ihre vorträge erkennen, oder (schlimmer noch) nicht erkennen sollten, um die nachTsicht wegen der semantischen verBALLhornung, sinnesENTtäuschungen, banalitäten aus dem russischen und exkursen ins unermeßliche.

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Internationale Schwitters-Tagung. Teil 1.

Sektion 1: Kurt Schwitters und die Moderne

  • Ulrich Krempel (Sprengel Museum),
    Begrüßung
  • Walter Delabar (Leibniz Universität Hannover)
    In die Extreme. Kurt Schwitters’ Moderne
  • Birgit Nübel (Leibniz Universität Hannover)
    Aspekte der Moderne: Kurt Schwitters und Robert Musil

Internationale Schwitters-Tagung. Teil 2.

  • Walter Fähnders (Universität Osnabrück)
    „Ich fordere sofortige Beseitigung aller Übelstände“. Kurt Schwitters und der avantgardistische ‚Manifestantismus‘

Sektion 2: Positionierungen von Kurt Schwitters – Autorkonzepte, Textstatus, ästhetische Strategien

  • Ralf Burmeister (Berlinische Galerie Berlin)
    MERZ im Selbstportrait oder „Wie ein bürgerlicher Kopf durch einfache Mittel zur schwebenden Architektur wurde“
  • Sigrid Franz (München)
    Fragmentierung und Immaterialität als Vernetzungsprinzipien im Werk von Kurt Schwitters

Internationale Schwitters-Tagung. Teil 3.

  • Tobias Wilke (Columbia University New York)
    Da-da: Artikulationsgebärden und Affektpoetik bei Kurt Schwitters
  • Petra Kunzelmann (Coburg)
    Text und Rhythmus. Zur rhythmischen Gestaltung in Kurt Schwitters’ Tran-Texten.
  • Hubert van den Berg (Poznań)
    Die große glorreiche Revolution in Revon. Kurt Schwitters als Schriftsteller

Internationale Schwitters-Tagung. Teil 4.

Sektion 3: Schwitters neu edieren

  • Isabel Schulz (Sprengel Museum Hannover) und Ursula Kocher (Bergische Universität Wuppertal)
    Warum Schwitters neu edieren? Gründe, Anlass, Ziele
  • Julia Nantke (Berlin) und Antje Wulff (Wuppertal)
    Wie Schwitters neu edieren? Beispiele aus den Notizbüchern (im Rahmen des Forschungsprojekts „Wie Kritik zu Kunst wird. Kurt Schwitters’ Strategien der produktiven Rezeption“)

Internationale Schwitters-Tagung. Teil 5.

  • Ariane Port (Berlin) und Katharina Richter (Berlin)
    „Bild – Text – Edition. Sind Collagen edierbar?“
  • Michael White (University of York)
    What’s Merz in English? The task of translating Schwitters

Internationale Schwitters-Tagung. Teil 6.

Sektion 4: Intermediale Grenzgänge

  • Christian Bachmann (Ruhr-Universität Bochum)
    Warum die Scheuche einen Namen hat? Kurt Schwitters’ Texte im Spannungsfeld von Schrift und Bild
  • Christoph Kleinschmidt (Westfälische Wilhelms-Universität Münster)
    Intermateriales Theater. Kurt Schwitters’ Bühnenkompositionen Oben und Unten und Zusammenstoß. Groteske Oper in zehn Bildern

Internationale Schwitters-Tagung. Teil 7.

  • Oliver Ruf (Universität Dortmund)
    Aporetik des Übergangs: Transmedialität bei Kurt Schwitters
  • Thomas Keith (Karlsruhe)
    Schwitters’ Alphabet-Gedichte als intermediales Experiment im Kontext der historischen Avantgarde

Weiterführende Links:

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Alle Fotos, Zitate und Fragmente sind, falls nicht anders angegeben.


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Internationale Schwitters-Tagung. Teil 5.

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Und da wären wir bei der Frage angelangt: Sind Collagen edierbar? Diese Frage haben sich Katharina Richter und Ariane Port aus der Freien Universität Berlin gestellt.

Tatsächlich, wie will man zum Beispiel mit solchen Werken umgehen?

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Marlborough Fine Art, London / VG Bild-Kunst, Bonn

Ist es Bild oder Text? Zum Lesen oder zum Betrachten?

Hier schon wieder zeigt sich Schwitters‘ Radikalität im Umgang mit Gattungen. Wenn die Dadaisten die Gattungen verwarfen und daher ihre Werke einfach nach ganz neuen Kriterien gestalteten (gut für die Analyse, glutenfrei), zwangen die Werke von Schwitters den Rezipienten, die Gattungen an sich zu über-denken.

Der MERZ-Künstler brachte einen in die META-Sackgasse.
Der einzige Ausweg wäre: zu verstehen, dass dies keine Sackgasse ist.

Doch während der Rezipient jede Wahrnehmungsfreiheit geniessen darf, müssen die Forscher ihre Kriterien schon festlegen. Und Editoren müssen alles adequat edieren, und zwar für alle.

Bei Schwitters geht es hier um die MultiMedialität. Aber auch um die In-Halte.

* Die Kunstwissenschaftler werden Komposition und andere bildnerische Merkmale
* Die Literaturwissenschaftler werden die Texte

=>analysieren

Und alle werden recht haben. Denn bei MERZ befinden sich alle Elemente in einer immerwährenden Kommunikation, sie werden „gegeneinander gewertet“ (Schwitters). So auch hier: durch Hyperlinks und Kommentare *) werden die Collagen in ihrer Gesamtheit digital veröffentlicht. Die Werke werden in ihrer Materialität, aber auch in ihren Kontexten in einer Hybrid-Edition (Print und Digital) präsentiert – man kann zoomen, man kann nachschlagen, man kann eigentlich alles. Bald.

Also: die Collagen und typographische Komplexe sind edierbar. Wie diese Einladung zur Kleinen Dada Soirée (Theo von Doesburg und Kurt Schwitters):

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© 2006 Kurt Schwitters / Artists Rights Society (ARS), New York / VG Bild-Kunst, Bonn

Hier beispielweise wird es geplannt (soweit ich es verstanden habe), in einer schematischen Matrix jedes Feld mit Querverweisen zu versehen, und somit die Lesbarkeit, aber auch die Originalität zu retten.

***

Diese Soirée-Einladung beinhält im unteren rechten Bereich ein Gedicht, das auch in einer zweisprachigen Version (holländisch und deutsch) als „Die Zute Tute“ bekannt ist.

zutetute
MERZ 4, © Dumont Buchverlag / VG Bild-Kunst

Als Hinweis: dieses Gedicht in der Lach-Ausgabe auf der Seite 298, Bd.1, weist so viele Tippfehler auf, dass ich schon wieder merke, wie mangelhaft leider die Lach-Edition von Schwitters ist…

Das Multilinguale war auch Schwitters Gleichgesinnten nicht fremd. Sein Freund El Lissitzki sagte einst (indem er Kručenych zitierte):

Lissitzki-Pobeda

El Lissitzki, Победа над солнцем

Alles ist bien, was good начинается et hat no finita

PREISFRAGE:
Wie kann man das übersetzen?

Darüber referierte Schwitters-Übersetzer ins Englische Michael White (University of York). Und ich sage es gleich: es gibt da – glücklicherweise – keine eindeutige Antwort auf diese Frage.

Michael White präsentierte in einem äusserst spannenden Beitrag die möglichen historischen Lösungen (am Beispiel des meist übersetzten Gedichtes „An Anna Blume„), die man folgends auflisten könnte:

=> Eine Anpassung an die intrakulturelle Kontexte

Anna Blume = Eve Mafleur

schimmern da nicht etwa „Les Fleurs du mal“ von Baudelaire durch?

=> Anwendung der fast identisch übernommenen Elemente:

Du trägst den Hut auf deinen Füßen und wanderst auf
die Hände, auf den Händen wanderst du.

versus

Thou wearest thine hat on thy feet, and wanderest on thine hands,
On thine hands thou wanderest

(Eigene Übersetzung von Schwitters)

=> Völlige Übersetzungsfreiheit, legitimiert von Schwitters selbst, der einmal über eine Übersetzungsanfrage äusserte:

„Mache es so, wie Du es für richtig hälst“

Quelle: muss ich noch finden

Und (das kommt jetzt von mir):

Vielleicht sollte man die multilinguale Texte unbedingt nichtübersetzen (sic!).

Und hier fragt sich der Merzmensch zu wievielten Mal, ob Schwitters es geahnt hatte. Ob Schwitters mich, ausgerechnet mich, den Merzmenschen, meinte, als er schrieb:

Ich arbeite meine Bilder und Skulpturen und meine Gedichte für jeden, der sehen und fühlen kann, ganz gleich, ob er Deutscher, Russe oder Japaner ist

[Sie sandten mir eine Aufforderung, 1942-45] (c) Dumont Buchverlag

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Zum Teil 6

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Internationale Schwitters-Tagung. Teil 4.

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Sektion 3: Schwitters neu edieren

Wie bereits erwähnt, wurde die Schwitters-Tagung in Rahmen der Vorbereitungen zur neuen Edition des literarischen OEuvre des MERZ-Künstlers organisiert. Und es stellt sich heraus, dass die Herausgeber sich vor einer Herausforderung gestellt haben.

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Fliessend ist die Grenze zwischen dem literarischen und bildnerischen Werk des KünstlersSchriftstellers Kurt Schwitters.
So berichteten Isabel Schulz und Ursula Kocher über die Problematik, aber auch Signifikanz dieser Edition, denn…

Leider entspricht die 5-Bändige Schwitters-Ausgabe (Hrsg. Lach) nicht mehr den neusten wisselschaftlichen Standards und weist viele textologische Mängel. So muss eine neue Ausgabe her. Es wurden bereits 3 Bände des bildnerischen Werk im Catalogue Raisonné veröffentlicht. Nun folgen die Texte.

Aber! Bei Schwitters ist es oft schwer zu uǝuuǝʞɹǝ, wo die Grenze zwischen Bild und Text liegt. Gedichte, die typographisch gesetzt und nicht zum Vorlesen gedacht sind. Collagen, die auch wenn geklebt, durchaus vorgertragen werden können.

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(C): Ernst und Kurt Schwitters Stiftung

Text? Schrift? TypoGraphie?

So wird es auf die digitalen Medien zurückgegriffen. Schwitters‘ Texte werden sowohl auf einem Datenträger veröffentlicht, als auch in Buchform – zum BlätternDurchsuchenEselsohrfaltenNachschlagenKopieren©opieren, sprich: den Wissenschaftlern einerseits und den Interessenten andererseits, allen wird der Zugang zum allen gewährt (alle vogel alle), als eine verlässliche und umfassende Edition. Was will man mehr?

***

Als Teilprojekt werden die noch nie veröffentlichte Notizbücher von Schwitters digitalisiert, wie uns Antje Wulff und Julia Nantke erfreuten. Sie erzählten über das Forschungsprojekt, „wie Kritik zur Kunst wird„. Denn Schwitters war sehr penibel, was Kritiken angeht. Er hat sie alle. Gelesen.

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(Eigentum: Kurt Schwitters Archiv)

Und allein die sind schon AUGENWeide. Und gleichzeitig eine editorische Folter. Wie will man z.B. fächerweise eingeklebten (zum Abklappen) Texte verlegen? Doch egal, wie man es will, man muss. Man soll? Die Leute sagen, man solle, – laß sie sagen, sie wissen nicht, wie der Druck geht. Das gehört (beiläufig) nicht hierher.

Welche Notizbücher sind es also?

  • Kritiken, oder: „Speizalhaus für Abfälle“
    So bezeichnete Schwitters das Heft, in dem er alle möglichen veröffentlichten Kritiken sammelte und einklebte. Er beauftragte den Presseausschnittdienst Adolf Schustermann, sämtliche gedruckte Artikel über sämliche Schwitters‘ Aktionen zuzuschicken. Heutzutage macht man das mit [Schleichwerbung]. Dazu versah er die Kritiken mit Markierungen, Zeichen und Notizen in unlsbrn Krzschrft.
  • 8 uur
    Notizbuch-Dokumentation des Dada-Tournee durch Holland. Mit Dokumenten, Fotos und wiederum Zeitungsartikeln – und mit noch ausgeklügelteren MarKierunGsSystemen
  • Gästebuch für die MERZausstellung
    …in Hildesheim. Das war eine Kommunikation mit Publikum par excellence. Das Publikum schrieb ins Gästebuch. Schwitters antwortete ebendort. KommentareKommentare. Und – WICHTIG – viele Texte des Publikums wurden in anderen Texten von Schwitters zitiert/verarbeitet/angedeutet.
  • Schwarzes Notizbuch VI. „Alles Mögliche, was uns interessiert“
    Nomen=>Omen. MERZAusstellung Hildesheim. Diesmal aber unkommentiert.
  • Bleichsucht und Blutarmut
    Briefe. Korrespondenzen. Zeugnisse der avantgardistischen Netzwerke. Alles, was hilft, die Verbindungen und Bezüge bei Schwitters nachzuweisen und zu belegen. Denn hier sind gesammelt:
    => Briefe an Schwitters
    => Publikums-Reaktionen (sowohl – als auch +)
    => Nachfragen derjenigen, die’s nicht verstanden haben. Sowie Interpretationsvorschläge derjenigen, die’s zu verstehen haben wollen müssen sollen.

Diese Notizbücher – auch wenn sich dort kaum Texte von Schwitters wiederfinden – ermöglichen, das Gesamtbild MERZ-Künstler im Spiegel der Revolution Rezeption zu verstehen.

Und schon wieder sah ich: da tut sich was.

Der Merz-Ball wurde ins Rollen gebracht.

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Zum Teil 5.
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Internationale Schwitters-Tagung. Teil 3.

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„Mama-Papa-Dada“, – lautete der Vortrag von Tobias Wilke, – „Lautgebärden und Artikulationspoetik bei Schwitters“.

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Anhand eines Gedichtes von Schwitters wurde auf einmal das Vor-Sprachliche, die Psycholinguistik und die Genese von Dada angesprochen.

Alle Vögel …

Um zehn nach drei
Ist der Lenz vorbei.
Alle Fliegen, die schon da sind,
Alle Mütter, die Mamma sind,
Alle Herren, die Pappa sind,
Singen Lieder, die dada sind;
Alle Vögel alle.
© Dumont Buchverlag

Abgesang des Dadaismus kann man dieses Gedicht auch interpretieren. Das Dada da wurde nach den Texten des Psycholinguisten Wilhelm Wundt („Völkerpsychologie“, 1900) analysiert. Dada als vorsprachliche Artikulation. Dada, als das Hinweisen, als das Erkennen. Oder wie James Sully diese Vorsprachliche Artikulation definierte:

faint shock of wonder produced by the appearance in the visual field of a new object
(source)

Das Hinweisende kann auch durchaus im Sinne der Dadaisten betrachtet werden, mit ihren hinweisenden Hand-Piktogrammen.

Dieser Vortrag von Tobias Wilke war äusserst spannend, und signifikant für die Analyse der Entstehung von Dada (und wir hatten in diesem Blog bereits einige Hypothesen). Wenn das Buch erscheint, lege ich es jedem ans Herz. Auch Euch.

***

Nach der Rhythmik von Da-Da wurde die Rhythmik von TRAN unter die Lupe genommen. Petra Kunzelmann untersuchte die sogenannten TRAN-Texte von Schwitters, diese Anti-Kritik-Werke, mit denen er auf die Kritiker reagierte.

Während seine beleidigten Zeitgenossen ihre Kritiker in Glossen blossstellten, erfand Schwitters seinen eigenen Weg der Kollagierten Texte, in den die Kritiker nach seiner Geige tantzten und – nach Anna Blume und Hannah Höch – die eigenen Namen von hinten sprachen.

Dabei griff Schwitters des öfteren auf Lieder, die er schonungslos zitierte, wie mit seinem

Kitschblatt, Kitschblatt über alles
Tran 35. © Dumont Buchverlag

Die Rhythmik spielte in diesen Kritikkritiken eine entscheidende Rolle.

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Und als die Krönung des Abends kam ein weiterer Avantgarde-Koryphäe, Hubert van den Berg, der sehr prägnant die Literaturerbe von Schwitters präsentierte:

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In einem schnellen Überblick habe ich erstaunliche Sachen erfahren.

  • H.C.Andersen, der berühmte Märchen-Autor, klebte auch Kollagen
  • der Germanist Oskar Walzel, der Theorie über das Dichten verfasste, wurde einerseits von russischen Formalisten wie Žirmunskij, andererseits von Dadaisten wie Schwitters gelesen. Schwitters hat sogar seine Vorlesungen in Dedesnn nn rrrrr Dresden besucht.

Eine Zuschauerin, die neben mir sass, sprach plötzlich erstaunlich zu mir:
– Stellen Sie sich vor, was wäre, wenn er jetzt hier wäre? Nein, das wäre doch erstaunlich, wenn er jetzt hier wäre, denken Sie nicht?
Und sie strahlte im Liche dieser überwältigenden Vorstellung.

Aber auch Sachen, die ich bereits kannte, waren nicht weniger erstaunlich:

  • Schwitters zwang nicht, seine Kollagen zu lesen, das war sogar nicht notwendig, auch wenn die Kollagen voller Text waren. (Hier muss ich noch in seinen theoretischen Schriften wälzen, denn ich habe da etwas anderes in Erinnerung)
  • Schwitters zitierte Malevič mit seinem Schwarzen Quader in MERZ-Zeitschrift.

Es gibt also noch viele Verbindungen, die es zu untersuchen wären. Was ich auch tue.

Somit war der erste Tag der Schwitters-Tagung zu Ende. Das Publikum war heute unterschiedlich – Promovenden, Promovierten, Interessenten. Ich habe sogar die Anna Blume gesehen, die damals von Rebell entdeckt wurde!

Als ein FAZIT für heute: grossartig und inspirierend. Morgen geht es weiter.

Es ist spät Abend und Niki de Saint Phalle glänzt im Vollmond.

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Internationale Schwitters-Tagung. Teil 2.

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Und schon ging’s weiter mit dem Avantgarde-Koryphäen Walter Fähnders. Allein die Liste seiner Publikationen zu Avantgarde würde diesen Blog sprengen. Doch mein Blog pflegt stets, seine lakonische Ausdrucksabilität in der Wortkargheit zu manifestieren. [Na gut, nicht immer]

Und hier ging es auch um Manifeste. Zumal Schwitters keine schrieb. Nein. Das stimmt nicht ganz. Es sind wenige Texte bekannt, die er als Manifest betitelte. Die aber nicht unbedingt Manifestcharakter haben. Dagegen andere seine Texte mit Manifestcharakter nicht als Manifest betitelt wurden. Schwitters wusste, was er schrieb. It’s complicated.

Eines steht fest: Schwitters war nicht dogmatisch. Und auch seine Richtungsweisenden Texte spielten mit der eigenen Seriösität.

Off-topic: Während des Vortrags fiel der Ausdruck „Durch Wikipedia verbreitet“ auf, und ich verstand die ganze Bedeutsamkeit von Wikipedia im Kontext der modernen Gesellschaft. Nicht weil alles, was in Wikipedia steht, wahr ist. Sondern weil meistens nur das, was in Wikipedia steht, vebreitet wird.

Schwitters war kein grosser Freund von Manifesten, besonders mit politischen Betonung. Sein „Manifest Proletkunst“ war eigentlich gegen solche Manifeste gerichtet.

Der Vortrag war derartig interessant, dass ich in lauter Euphorie vergass, Walter Fähnders zu fotografieren. Daher hier sein neustes Werk – und ein LESEMUSS. METZLER LEXIKON AVANTGARDE – jedes Wort eine Delikatesse.

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Das war die Sektion 1. Kurt Schwitters und die Moderne.
Und hier die Sektion 2. Positionierungen von Kurt Schwitters – Autorkonzepte, Textstatus, ästhetische Strategien

Als nächster kam Ralf Burmeister (Berlinische Gallerie, Berlin) mit dem Vortrag „Merz im Selbstportrait„. In einer sehr anschaulichen Präsentation wurde Selbstinzinierung des MERZ-Künstlers als MERZ-Künstler gezeigt.

Kurt Schwitters verschickte an seine Freunde die Postkarten mit dem eigenen Fotoportrait. Doch jedesmal bearbeitete und verfremdete er die Karte auf unterschiedlichsten Arten und Weisen, beispielweise so:

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http://www.artnet.de/magazine/eroffnung-der-berlinischen-galerie/images/6/

Einziges, was immer (bis auf ein Beispiel) unberührt blieb, war die Unterschrift:

Kurt Schwitters.

Durch Anspielungen, Zitaten und Seitenhiebe inszenierte er den MERZ-Künstler, er verMERZte sich selbst.

Und Merzmensch sagt dazu: Schwitters war ein prä-cybernetischer Hacker der eigenen Identität. So wie der berüchtigte „Laughing Man“ in „攻殻機動隊 STAND ALONE COMPLEX„, der die anderen Identitäten hackte mit dem Ziel der Selbstinszenierung (mit einem ikonographischen Kopf und Zitat aus Sallingers „Catcher in the Rye“)

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Der einzige Unterschied: Schwitters hackte sich selbst. Aber er war sowieso Vorreiter in Sachen Virales. Das Beispiel der Postkarte oben ist mit einem Aufkleber „Anna Blume“ versehen. Schwitters stellte diese Aufkleber her, zum Anbringen an allen möglichen und unmöglichen Urbanitäten. So wie es heutzutage „Antifa“ und tausende anderen subversiven Elemente macht.

Und ausserdem klebte er überall in Hannover

  1. Zehn Gebote (wie Luther mit seinen 95 Thesen)
  2. und Tage später: Plakat mit dem Gedicht „Anna Blume„, über die Gebote drauf.

Schwitters war subversiv.

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Darauffolgendermassen kam Sigrid Franz, die gerade mit dem Thema „Kurz Schwitters‘ Merz-Ästhetik im Spannungsfeld der Künste“ promovierte.

Sie sprach über die Immaterialität und Fragmentierung als Vernetzungsprinzipien. Schwitters‘ Absage an abgeschlossenen Werken ist fast zum Sinnbild seiner Texte geworden.

Ausserdem wurden die Künste, Gattungen und Genres in MERZ komplett aufgehoben, dabei wurde das Materielle und Immaterielle gegeneinander gewertet – als Hauptprinzip der Schwitters‘ Kunstauffassung. Das Musikalische dabei – wie am Beispiel der Ursonate – als noch nicht so recht erforschtes Thema – spielte eine wichtige Rolle. Vor allem durch den Rhythmus, der für Schwitters eines der grundlegenden Elemente jeder MERZscheinung war.

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Wie der werter Leser bemerkt, meine Konzentrationsfähigkeit liess nach. Denn so viel Schwitters-Materie auf ein mal von allen Seiten ist schön, macht aber viel Arbeit.

Nach einer Pizza DADA ging’s aber besser. Und weiter.

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Internationale Schwitters-Tagung. Teil 1.

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Wenn Sie mich fragen, wo ich gerade bin, dann sage ich: unterwegs ins Unermessliche. Denn Schwitters sagte einst:

Hannover strebt vorwärts, und zwar ins Unermeßliche.

Also: Schon wieder in der MERZ-Stadt. Und im Monat März Merz im Sprengel Museum findet die dritte internationale Schwitters-Tagung statt – diesmal zu seinem Literarischen OEuvre. Jede Menge Schwitters-Forscher auf einem Quadrat-Meter. Und das inspiriert.

Der Anlass dieser Tagung ist umso merzialischer: Die Kurt und Ernst Schwitters Stiftung wird in den nächsten Jahren Texte und Briefe Schwitters in einer wissenschaftlichen Edition neu herausgeben!

10 Bände geballten MERZ.

Dazu auch noch digitalisierte Dokumente und Werke Schwitters, die durch Holzmedien nicht mehr darstellbar sind. Die Zukunft bricht an, und Du bist dabei. Wie ein Hut. Wie ein Hut.

Also möchte ich kurz berichten, was sich alles abgespielt hat in diesen interdimensionalen Auditorien. Es wurde sehr viel beleuchtet, ich werde nicht alles beschreiben können. Aber 2012 wird ein Buch mit allen Beiträgen dieser Tagung erscheinen.

*** (drei Sterne)

Zunächst wurden wir vom Direktor des Sprengel Museums Ulrich Krempel begrüsst.

Er stellte das Museum vor, und erzählte über Intentionen der Tagung. Schwitters literarische Werke wurden bis jetzt nicht so allumfassend erforscht, im gegensatz zu seinem bildnerischen Nachlass. Und allzuoft werde er auf die Rolle des literarischen Spassmacher reduziert. So:

„Kurt Schwitters = lustig“

Das sei aber zu oberflächlich, und hier frage ich mich, wieso ich hier ständig den Konjunktiv I benutze. Ulrich Krempel hat recht: es ist zu oberflächlich. Die Aufgabe der neuen Edition ist es also unter Anderem, dies zu verdeutlichen. Und auch Aufgabe dieser Tagung im Museum. Und auch Aufgabe des Museums.

Und ich sage Euch, liebe Freunde – Sprengel-Museum ist wirklich ein Vorreiter in Sachen Avantgarde. Hut ab.

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Walter Delabar, der Organisator der Tagung, führte uns kurz in die Moderne ein. Die Begrifflichkeiten sind nicht eindeutig – gleich wie der Begriff der Avantgarde. Peter Bürger mit seiner „Theorie der Avantgarde“ hat’s versucht.

Es geht unter anderem über die gesellschaftliche, historische, kulturelle Auffassungen des Komplexes „Moderne“, die des ofteren nicht parallel ablaufen, ineinander verflochten sind und am Ende ist man so klug als wie zuvor.

Besonders, wenn es um Schwitters geht. Denn seine avantgardistischen Zeitgenossen, so wie er, sahen im Sinn das Sinnbild des Bürgerlichen. Der Unsinn war der Weg des Protestes. Doch Schwitters ging weiter. Statt, wie Dadaisten, die Konventionen eifrig zu verwerfen, spielte er mit ihnen. Statt anarchistischen Amoklaufs durch Markthäuser und Parlamente, infiltrierte er diese feindliche Territorien und sprengte sie mit adogmatischer Perfektion. Daher waren die Berliner Dadaisten mürrisch, da sie die ganze als Bürger gekleidete Subversivität nicht erkannten (nicht erkennen wollten).

Apropos, Sinn.

Schwitters hat etwas seltsames gemacht. Er machte den Sinn des Werks zu einem der unzähligen Faktore dieses Werks. Form stand dabei im Vordergrund. Der Sinn war plötzlich nur ein Element, wie Farbe, Wort, Autor oder Zuschauer. kurz:

Alles wurde MERZ wurde alleS

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Birgit Nübel aus der Leibniz-Universität berichtete über Kurt Schwitters und Robert Musil. Es ist nicht nachgewiesen, dass beide einander kannten, doch die Parallelen sind überraschend.

Zum Beispiel, Spannungsfeld Mimetik. Oder Motiv der Zerstückelung. Aber auch metatextuelle Phänomene. Ich habe mir viele Notizen gemacht. Es war ein sehr begebenwürdiger Tag, an dem ich geschlachtet werden sollte.

In sehr vielen Aspekten höchstinteressanter Beitrag, besonders für mich, der ja Autoren in meiner Arbeit vergleicht. Und die Idee der literarischen Moderne als Kollektivsingular ist so verheißend. Ich darf mich nur nicht verbrühen.

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Und dann war die Kaffeepause, und ich hatte die britische Schwitters-Biographin Gwendolen Webster persönlich kennengelernt. Wir kennen uns längst bei twitter. Sie ist Direktorin der Britischen Schwitters-Gesellschaft.

Und auch einen Mitglied von Merzman habe ich kennengelernt.

Kaffee war ausgetrunken – und es ging weiter…

FORTsetzung folGT…

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Merzman, Schwittershytta und andere Merzialien

Faszinierend, was es alles gibt. Auf der Suche nach Faksimile von Schwitters‘ Merz-Zeitschrift (hier gibt es nur eine Auswahl) fand ich dieses wunderbare Video: ein Besuch bei Hjertoya, in der sogenannten Schwittershytta. Hier verbrachte Schwitters mehrere Jahre seines Exils.

http://vimeo.com/moogaloop.swf?clip_id=1896440&server=vimeo.com&show_title=0&show_byline=0&show_portrait=0&color=ffffff&fullscreen=1&autoplay=0&loop=0

Schwittershytta from factum-arte on Vimeo.

Ein spanischer Rekonstruktions-Workshop FACTUM-arte hat übrigens diese Hütte wunderbarerweise rekonsruiert:
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http://www.factum-arte.com/eng/conservacion/schwitters/schwitters_en.asp

Als Schwitters nach England exilierte, schuff er dort seinen letzten Merz-Bau, den sogenannten Merz-Barn. Auf dieser wunderbaren Seite (http://www.merzbarn.net/) kann man die Rekonstruktion/Pflege des Merz-Barn verfolgen. Auch per twitter: http://twitter.com/merzbarn.

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(The Merz Barn circa 1953. Photo: Sprengel Museum Archive)

Aber nicht nur mit der Rekonstruktion des Merz-Barns beschäftigt sich Littoral Arts Trust.

Es gibt einen Merzman, meine Damen und Herren. Wie ein Hut. Wie ein Hut.

Merzman ist nämlich ein Festival zu Ehren des Merz-Künstlers Schwitters, veranstaltet in Manchester, Salford, Cumbria, Liverpool und Bury seit gestern (17. Februar) bis Anfang Mai 2011.

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http://www.merzman.co.uk/

Und auf der facebook-Seite des Festivals kann man bereits die ersten Events und Aktionen bestaunen:
http://www.facebook.com/MerzmanProject?v=wall

So lassen wir die MERZ-Kunst zelebrieren.
Zum Beispiel, mit dem wunderbaren Lied von Brian Eno „Kurt’s Rejoinder“


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Merzmensch, ausgestellt in Cabaret Voltaire

In Cabaret Voltaire gibt es eine Merz-Wand. Und Merzmensch ist ab nun für immer mit dieser Wand vermerzt.

Doch fangen wir besser so an.
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Oben links ist eine wunderbare Fotografie unter dem Namen „Einübung ins Hundeleben„. Oben rechts ist ein Plakat „Merzstadt“ von Yona Friedmann, es ist ein Plakat zum Symposium Merzbau 2007 „Organic Functionalism. (Rebell.tv berichtete bereits darüber). Unten ist – was sonst? – Panorama des Merzbaus von Schwitters (Modell aus dem Sprengelmuseum, Hannover)!

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Wie der werte Leser meines Blogs bereits weiss, war ich im Mai ein Hochzeits-Zeuge. Ein Merz-Hochzeitszeuge. Darüber werde ich noch mehr berichten (running gag, nur an werktagen geöffnet).

Nun, um nicht mit leeren Händen zu erscheinen, wollte ich etwas substantielles und immerwährendes mitbringen. Und ich realisierte die Idee, die ich in diesem Blog bereits seit vielen Jahren verfolge. Und zwar ein Anagramm.

Cabaret Voltaire = Realitaet vor abc

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Ich habe diesen meinen bescheidenen Dada-Beitrag feierlich dem Cabaret Voltaire überreicht (wie der einzigartige rebell berichtete).

Nun, bekam ich von Philipp Meier die wunderbarste Nachricht, dass ich aufgehängt wurde! (Es war ein sehr begebenwürdiger Tag, an dem ich geschlachtet werden sollte.) Und zwar auf der Merz-Wand!

38180_1492889515995_1046737025_1361682_7276778_nPhoto by Philipp Meier.

Nun habe ich die Ehre, mit Schwitters, Ball, Marilyn Manson und anderen sympatischen Gesellen zusammen zu hängen. Ich bin uber-glücklich. Wie ein Hut. Wie ein Hut.


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PentAgrion – auch bei Merz?

Da drüben im Teppichhaus entwickelt sich eine Suche nach den geheimnisvollen Papieren des PentAgrion – einer wohl extraterrestrisch entstandenen Weisheit. Eines der Hauptgedankenstränge ist dabei die Kritik an der Menschlichen Sprache einerseits, und Begrüssung jedes Versuches, die Tiefenäusserung der Sprache zu erfassen.

Gleichzeitig wird auch Kurt Schwiters erwähnt, und zwar im Kontext der Plausibilität. Ja, Schwitters hat dazu einiges erzählt. Ich vermute sogar, er hat es besser verstanden, als wir, die in die Zeiten der Medienüberflutungen wohl nach einer übersprachlichen Arche suchen müssen.

Wir sind die neuen Noahs.

Nun was hat Kurt Schwitters mit seinen Merzbaus anderes gemeint, als nicht die über-sprachliche Konstrukte zu errichten, die die Wirklichkeit auf eine von der konventionellen Sprache befreite Art und Weise darstellen?

Es gibt aber Hinderungen an unserem Wege zur Wahrheit.

Als ich beispielweise in Sprengel-Museum war, war es strikt untersagt, die Fotos von Merzbau zu machen. Ich denke, gerade deswegen, weil dieses Gebilde in sich die Wahrheit des PentAgrion trug.

Daher hier das Bild der Wahrheit! Es lebe Merz! Es lebe PentAgrion!